FORUM PSYCHOSOMATIK

Zeitschrift für Psychosomatische MS-Forschung, 25. Jahrgang, 1. Halbjahr 2015

MS und Stress: Gibt es doch keinen Zusammenhang?

Nach einer dänischen Studie1, die im März 2014 veröffentlicht wurde, gibt es keinen Zusammenhang zwischen belastenden Lebensereignissen im Erwachsenenalter (wie Scheidung oder Tod eines Partners oder Kindes) und einem erhöhten Risiko, an multipler Sklerose zu erkranken. Damit weisen die Ergebnisse dieser Studie in eine andere Richtung als die meisten vergleichbaren Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen negativem Stress und MS-Beginn oder MS-Schubauslösung festgestellt haben. Anlass genug für die Redaktion von FORUM PSYCHOSOMATIK, die Studie einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.

Was wurde untersucht? Was wurde festgestellt?

In diese Studie eingeschlossen waren alle dänischen Frauen und Männer, die zwischen 1950 und 1992 geboren wurden. Untersucht wurden einerseits alle Personen, die zwischen 1968 und 2010 Eltern geworden waren, andererseits alle, die zwischen 1968 und 2010 geheiratet hatten. Beide Gruppen umfassten jeweils zwischen 1,5 und 2 Millionen Menschen.
In der ersten Gruppe wurde das MS-Risiko derjenigen Frauen und Männer, die ein Kind durch Tod verloren hatten, verglichen mit dem MS-Risiko der anderen Eltern. Hier ergaben die statistischen Analysen kein erhöhtes MS-Risiko bei den Personen, die den Tod eines Kindes zu beklagen hatten.
In der zweiten Gruppe wurde das MS-Risiko von geschiedenen oder verwitweten Personen verglichen mit dem MS-Risiko der Frauen und Männer, die immer noch in der ursprünglichen Partnerschaft lebten. Bei allen Analysen (Frauen, Männer, geschieden oder nicht, verwitwet oder nicht) ließ sich lediglich in der Gruppe der verwitweten Männer ein leicht erhöhtes MS-Risiko feststellen.

Einordnung der Studienergebnisse

Ist damit das Ende aller psychosomatischen Überlegungen bei MS gekommen? Haben wir jetzt den finalen Beweis dafür, dass die MS sich unabhängig von psychischen Faktoren entwickelt? Mehrere Gründe sprechen gegen diese Schlussfolgerung.
Zunächst ist festzuhalten, dass es in der Studie allein um die MS-Entstehung, nicht aber um den MS-Verlauf geht. Die Autor*innen haben keine Daten zu der Frage erhoben, ob negativer Stress an der Auslösung von MS-Schüben beteiligt ist oder den MS-Verlauf generell beeinflusst. Demzufolge äußern sich die Autor*innen nicht zu dieser Frage.
Zwei Schwachpunkte der Studie werden selbstkritisch von den Autor*innen in der Diskussion der Studienergebnisse benannt.

Kleine Fallzahl: Die Gruppe der Personen, die ein Kind verloren und anschließend MS bekommen hatte, war recht klein. Mit dieser Schwachstelle der eigenen Studie erklären die Autor*innen, dass eine andere Untersuchung von 2009 zu gegenteiligen Ergebnissen kam.
Scheidung als Erleichterung?: Die Autor*innen geben auch zu bedenken, dass eine Scheidung eventuell auch als Befreiung empfunden werden kann. Schließlich kann es ungemein belastend sein, in einer zerrütteten Partnerschaft zu verharren.

Resümee
Auch wenn in die Studie die Daten vieler Menschen eingeflossen sind, weist die Untersuchung doch erhebliche Schwächen auf, wie oben ausgeführt. Vielleicht ist ein Design, das nur nach Daten fragt, nicht geeignet, eine Antwort auf die komplexe Frage zu finden, welchen Einfluss negativer Stress auf die MS-Entstehung und den MS-Verlauf hat. Schließlich ist bekannt, dass Stress von Mensch zu Mensch vollkommen verschieden erlebt und verarbeitet werden kann. Insofern sind wahrscheinlich Studien zwar aufwändiger, aber gleichzeitig aussagekräftiger, in denen individuell erhoben wird, ob der jeweilige Mensch subjektiv belastende Lebensereignisse erfahren hat und wie diese zeitlich zu einem eventuellen MS-Beginn einzuordnen sind.
Si





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